Das Kruzifix von St. Martin in Landshut

Das Kruzifix in der Pfarr- und Stiftskirche St. Martin in Landshut zeigte deutliche Alterungserscheinungen: Fassungspartikel waren abgefallen, ein Fixierungsseil war abgerostet. Das Kunstreferat des EBO München entschied: Eine gründliche Überprüfung des konservatorischen Zustandes und der Statik war zwingend erforderlich.

Eine gründliche Überprüfung des konservatorischen Zustandes und der Statik war zwingend erforderlich. Mit seinen Abmessungen von 7,53 m bzw. 6,08 m für die Kreuzbalken war ein Transport ohne Zerlegung in seine Einzelteile nicht möglich. Eine Bearbeitung hoch oben im Chorbogen hätte eine Einrüstung nahezu des gesamten Chors erforderlich gemacht. Es galt ein Gesamtkonzept zur Logistik, zur Konstruktion und zur Restaurierung bzw. Konservierung von Corpus und Kreuz zu entwickeln.

Corpus und Kreuz waren über eine mehrteilige geschmiedete Eisenstange gemeinsam im Dachwerk über dem Chor aufgehängt. Die Kreuzbalken besaßen zwar eine eigene geschmiedete Aufhängung, diese war jedoch in die Aufhängung des Korpus eingehängt. Eine Trennung war offensichtlich ohne Demontage aller Aufhängungen nicht möglich. Corpus und Kreuz waren aus mehreren Einzelteile zusammengefügt. Der Kreuzquerbalken wurde schon einmal grundlegend verändert, der Corpus hingegen war offensichtlich noch nie zerlegt worden.

Das physikalische System des Kruzifixes an sich war schon komplex genug, doch die Mitarbeit eines Ingenieurs erscheint gering im Vergleich zu den großen Aufgaben der Restauratorinnen. Der Transport jedoch zeigte vielschichtige Ingenieuraufgaben.

Die Ingenieuraufgabe war die Entwicklung eines Transports bei geringstmöglicher Verformung und mit einem mindestens doppelten Sicherungssystem: Das Kruzifix sollte aus seiner Position hoch oben unter dem Chorbogen gelöst, über ein Seil abgelassen und in einem Arbeitsgerüst aufgehängt werden. Da dieses die liturgische Nutzung des Altarraums verhindert hätte, wäre das Gerüst mit dem darin hängenden Kruzifix bis ans Ende des Langhauses zu verschieben. Danach könnte dieses Gerüst zu einer Restaurierungsplattform umgebaut werden, um alle Untersuchungen, Konservierungsarbeiten und Dokumentationen durchzuführen. Abschließend könnte der Transportvorgang in umgekehrter Reihenfolge wieder das Kruzifix an seinen Ort zurückführen. Soweit das Bild von einem Zwischenzustand.

Zwar zeigten erste Fotografien aus dem Jahr 1864, dass ein Transport möglich sei, die dabei beteiligten Personen und deren Werkzeuge vermitteln aber eher den Eindruck von Kraft und Mut. 1952/53 wurde das Kruzifix wiederum abgenommen, diesmal wohl etwas behutsamer.

Die Aufgabe des erneuten Transports zeigte sich dann aber etwas einfacher als es die Bilder in unseren Köpfen vorgaukelten: Die geschmiedeten Aufhängestangen konnten gelöst werden. Der Transport nach unten erfolgte über einen Stahlkettenzug mit einer zusätzlichen Sicherung über ein Stahlseil. Die Montage der Transportverankerungen erfolgte vom Hubsteiger aus.

Unten angekommen, wurde das Kruzifix über Transportschlaufen an Stahlträger aufgehängt, die in einem Raumgerüst verankert waren. Damit Corpus und Kreuz sich nicht verformen konnten, wurden diese gegen das Gerüst gepolstert und verspreitzt. Danach konnte das Gerüst verfahren werden.

Auch der Weg rückwärts war erfolgreich. Heute hängt das Kruzifix an seinem alten Ort: etwas schöner und wohl auch mit mehr Würde. Und er hat nun ein zusätzliches Sicherungsseil. Man weis ja nie.

Bleibt noch nachzutragen: Meister Erhart hatte wohl schon Ende des 15. Jh. eine logistische Meisterleistung erbracht: Arme und Körper der Christusfigur sind einzeln konstruiert und  können getrennt werden. Die Verbindungsteile sind aus Eisen in Form eines Schlosses gestaltet. Damit konnte der Corpus in drei Teile zerlegt und transportiert werden. Offensichtlich war diese Lösung zwingend erforderlich: Meister Erhart wohnte in Ulm, das Kruzifix sollte in Landshut aufgehängt werden.

Foto: Achim Bunz, München