Der Hezilo-Leuchter im Hildesheimer Dom

Der Hezilo-Leuchter wurde nach seinem Stifter, Bischof Hezilo (1020/25-1079), benannt. Mit einem Durchmesser von 6 m ist er das größte Zeugnis mittelalterlicher Goldschmiedekunst. Durch die Beurteilung der mechanischen Beanspruchung des Leuchters konnten die notwendigen Eingriffe zur Restaurierung reduziert werden.

Untersuchungen zum Tragverhalten

Der Heziloleuchter wurde von Hezilo (* um 1020/1025; + 5.August 1079), Bischof von Hildesheim gestiftet, möglicherweise im Zusammenhang mit dem Aufbau des Doms auf den Fundamenten des Altfrid-Doms, nach dem Brand des Azelin-Doms 1046.

Das Alleinstellungsmerkmal: Der Heziloleuchter ist mit einem Durchmesser von etwa 6 m die größte noch erhaltene mittelalterliche Lichterkrone. Vorhanden sind noch weitere drei mittelalterliche Lichterkronen: Der Thitmar-Leuchter in Hildesheim, der Barbarossa-Leuchter in Aachen und der Leuchter in Großcomburg. Der Hezilo-Leuchter symbolisiert das Himmliche Jerusalem und bezieht sich somit auf die Offenbarung des Johannes, 21-22. Der Hezilo-Leuchter ist die größte mittelalterliche Goldschmiedekunst. Er hängt im Hildesheimer Dom, unserer Kenntnis nach seit Mitte des 11. Jh. mit kleinen Unterbrechungen. Er ist Teil des Weltkulturerbes.

Der Heziloleuchter setzt sich aus einem doppelten Eisenreifen und aus den daran befestigten Toren, Türmen und Mauersegmenten zusammen. Tore, Türme und Mauersegmente bestehen aus Kupferblech mit einer Blechstärke von 0,1 mm bis 0,3 mm welche untereinander mit Krampen verbunden sind. Aufgehängt ist er über vier Bündel von je drei Eisenstangen an einem Seil. Das Gewicht des Leuchters beträgt etwa
420 kg. Die Eisenreifen haben einen Durchmesser von etwa 6 m. Die Höhe zwischen dem unteren Eisenreifen und der Aufhängung im Vierpass beträgt etwa 3,1 m.

Die Eisenreifen wurden wohl bei der Demontage im Jahr 1943 (oder bei der Restaurieung durch Küsthardt 1901-02) aufgetrennt und mit Laschen neu verschraubt. Heute zeigen die Eisenreifen deutliche Abweichungen gegenüber dem Idealmaß eines ebenen Kreises in der Vertikalen von
14,2 cm und in der Horizontalen von 21,6 cm.

Im Rahmen der Voruntersuchungen zur Restaurierung des Heziloleuchters sollten durch die Beurteilung des Tragverhaltens folgende Fragen geklärt werden: Wodurch kam es zu den vorhandenen mechanischen Schäden? Welche Tragreserven besitzt der Leuchter? Kann der Leuchter abgenommen und zerlegt werden?

Die Geometrie des Heziloleuchters war bekannt. Über die Steifigkeiten der einzelnen tragenden Bauteile und deren Verbindungen untereinander gab es jedoch nur wenig Wissen. Um das schwächste Glied zu finden, müsste man den Leuchter vollständig kennen, sowohl die Werkstoffe, als auch die Fügungen. Exakte statische Berechungen zu den vorhandenen und noch zu erwartenden Verformungen waren damit nicht möglich.

Als Alternative kann man einen anderen Weg nehmen: Mit Hilfe mechanischer Prinzipien und mathmatischer Algorithmen lässt sich eine Prognose zum Versagen berechnen. Bleibt hierbei die Zeit unberücksichtigt, spricht man von statische Berechnungen. Ändern sich die geometrischen Parameter in Abhängigkeit von der Zeit, so spricht man von dynamischen Berechnungen. Der Einfluss der Werkstoffeigenschaften auf die Ergebnisse der Berechungen tritt dabei gegenüber dem Einfluss der statischen Systembildung in den Hintergrund

Mit Hilfe von Eigenschwingformen, also dem Grundmuster von Bauwerksschwingungen, lassen sich bei bekannter Geometrie nahezu alle Parameter der statischen Systeme ableiten. Kann man das schwingende Bauwerk in ausreichend vielen Punkten gleichzeitig erfassen, lassen sich die Eigenschwingformen mit Hilfe bekannter theoretischer Systeme beschreiben. Im Fall des Hezilo-Leuchters genügten vier Beschleunigungsaufnehmer. Die über ein Messwert-Erfassungsprogramm gewonnenen Zeitschriebe wurden numerisch ausgewertet und grafisch aufbereitet. Es wurden zwölf verschiedene Aufstellungen untersucht. Bei allen Aufstellungen wurden freie Schwingungen sowohl unter stochastischer Anregung, als auch bei impulsartiger Anregung gemessen.

Aus den Ergebnissen der Messungen lassen sich folgende Aussagen ableiten:

  • Es treten 7 unterschiedliche Schwingformen auf. Die Frequenzen hierfür liegen bei 0,4 bis 6,0 Hz.
  • Der Leuchter erscheint besonders weich für horizontale Verformungen (Ovaling) und Torsion.
  • Die 4 Bündel der Aufhängungen steifen den Leuchter in vertikaler Richtung aus.
  • Durch die aussteifende Wirkung der Abspannbündel regen die Schwingungen der Aufhängung den ganzen Leuchter zu Ganzkörperschwingungen an. Dabei verbiegen sich die einzelnen Quadranten des Ringes relativ zueinander.
  • Die größte Beschleunigung erfährt der Leuchter durch vertikale Gesamtschwingung. Die statisch nicht mittragenden Blechbauteile der Mauersegmente werden hierbei in ihrer Ebene auf Biegung belastet.

Die dynamischen Kenngrößen wurden zusammen mit der wahren Geometrie zu einem drei-dimensionalen Rechenmodell verknüpft und darauf aufbauend Vergleichsrechnungen durchgeführt. Aus den Vergleichsrechungen lassen sich folgende qualitative und quantitative Aussagen zum Tragverhalten des Hezilo-Leuchters ableiten:

  • Die Verformungsfigur des Leuchters ist stark asymmetrisch; sie besteht zum Großteil aus Starrkörperanteilen.
  • Die maximale Verformung unter Eigengewicht beträgt 3 cm.
  • Die Schnittgrößen nach Th. 1. Ordnung liegen deutlich unter den von St37 aufnehmbaren Werten.
  • Die Abweichung der Normalkräfte in den Diagonalen beträgt etwa 5 %.
  • Die Abweichung der Normalkräfte von Haupt- und Nebendiagonalen beträgt etwa 15 %.
  • Die geringe Biegesteifigkeit der Eisenreifen führt zu großen Verformungen selbst bei kleinen zusätzlichen Lasten.
  • Eine Demontage einzelner Diagonalen ist ohne große Deformation nicht möglich.
  • Der im 3-dimensionalen Raum aufgehängte Leuchter reagiert sehr empfindlich auf zusätzliche Verformungen. Kommt es  z. B. zu einer ungeplanten Festhaltung, folgen in der Ebene der Mauersegmente Verkippungen und Schubverzerrungen bis zur Bruchgrenze der Blechteile.
  • Bei einer einseitigen Verformung von 5 mm, bezogen auch den Durchmesser von ca. 6 m, kommt es zu mittleren Bewegungen in den Anschlüssen der Blechteile untereinander von 0,25 mm.
  • Bei relativen Verformungen von 2,2 cm zwischen benachbarten vertikalen Stegen (ca. 1,57 m) kommt es zu rahmenartigen Schubverformungen der Reifen untereinander; die mittleren Bewegungen in den Anschlüssen der Blechteile untereinander beträgt 0,2 mm.
  • Eine freihändige Zerlegung des Leuchters führt durch die dadurch erzwungene Verformung zu Schäden an den Verbindungen der Kupferbleche untereinander.

Die statischen Berechnungen beweisen sowohl die Gutmütigkeit der tragenden Eisenteile als auch die extreme Gefährdung aller Blechbauteile bei erzwungenen Verformungen. Die am Leuchter erkennbaren mechanischen Schäden können also fast ausschließlich einer Deformation des Leuchters von außen, also einem menschlichen Eingriff, zugeordnet werden.

Die durchgeführten dynamischen Messungen haben viel erspart: Die zunächst vorgesehene Demontage des gesamten Leuchters wurde aufgegeben. Weitergehende Werkstoffuntersuchungen zur mechanischen Beanspruchbarkeit der tragenden Teile waren nicht erforderlich. Die Tragsysteme des Leuchters müssen weder verändert noch repariert werden. Nur die Aufhängung mittels Winde und Stahlseil wird durch eine fest montierte Kette ersetzt.