Als älteste Kirche des Isarwinkels ist die Tölzer Stadtpfarrkirche nach dem Brand von 1453 zwischen 1464 und 1490 neu errichtet worden. Nachdem Risse in den Wänden und Gewölben ein bedrohliches Ausmaß angenommen hatten, entschloss sich das EBO München für eine umfassende Sanierung.
Der Baugrund
Am Ende der geologischen Untersuchungen stand fest: Die Stadtpfarrkirche in Bad Tölz war viel zu schwer für den weichen Untergrund. Heute signalisieren die Messungen der TU München stabile Verhältnisse.
…und ihre Baugrund-Verhältnisse: Am Ende steht sie doch.
1453 wurde Bad Tölz durch einen Stadtbrand nahezu vollständig in Schutt und Asche gelegt. Auch die romanische Stadtpfarrkirche wurde ein Opfer der Flammen. Nur der gotische Glockenturm blieb stehen. Die neue Kirche wurde zwischen 1464 und 1490 an selber Stelle nur ein bisschen breiter und länger aufgebaut. Dabei wurden alle Steine der abgebrannten Vorgängerkirche wiederverwendet: Zur Fundamentierung die großen Steine, für die Wände dann die kleineren Steine. Ganz oben im Bereich der Dachtraufe sind viele Steine nur noch faustgroß.
Aus den Archivalien geht hervor, dass bereits kurz nach dem Neubau immer wieder Mängel in der Bausubstanz aufgetreten sind. Die Geschichte der Kirche ist eng verbunden mit ständig wiederkehrenden Baumaßnahmen zur Reparatur von Schäden.
Mitte des 19. Jahrhunderts waren die Schäden so groß, dass die Kirche wegen Einsturzgefahr gesperrt wurde. Nachdem der Wunsch der Tölzer nach einer neuen großen Kirche insbesondere aus finanzieller Sicht zerschlagen wurde, wurden ab 1859 umfangreiche Instandsetzungsmaßnahmen am Bestand durchgeführt. Die schlanken gotischen Pfeiler im Langhaus wurden dreiseitig verstärkt, neu fundamentiert und neue Gurtbögen zur Aussteifung des Bauwerks eingezogen. Die Gewölbe der Seitenschiffe wurden wegen Baufälligkeit vollständig rückgebaut und neu errichtet. Auch die Dachwerke wurden verstärkt.
Doch die Baumaßnahmen hatten nicht den erhofften Erfolg: Die Gewölbe zeigten wieder Risse, das Bauwerk verformte sich weiter. Ab 1969 griff man erneut in die Statik ein: Zusätzliche Stahlträger, Betonauflager und neue Abstrebungen sollten das Dachwerk aussteifen. Das gesamte Gewölbe im Chor wurde 1976 auf seiner Oberseite mit einer armierten Spritzbetonschale überzogen.
Vor Beginn der aktuellen Instandsetzung zeigte die Kirche wiederum zahlreiche Verformungen und Risse im aufgehenden Mauerwerk und in den Gewölben, die auf eine Deformation seit der letzten Raumausmalung im Jahr 1978 hindeuteten. Die Gewölberippen hatten sich zum Teil aus ihrer Naht gelöst und zeigten Relativverformungen zu den benachbarten Gewölberippen von bis zu 10 mm. Zahlreiche Rippen hatten sich soweit gelockert, dass sie mit der Hand bewegt werden konnten. Ein Großteil der Gipsmarken aus den 1980er Jahren war nicht mehr vorhanden. Fast alle Gipsmarken aus dem Jahr 1994 waren gerissen bzw. lagen hohl. Zum Schutz der Kirchenbesucher und zur Durchführung der Voruntersuchungen wurde 2003 in den Kircheninnenraum ein Raumgerüst eingestellt. Durch das Geodätische Institut der TU München wurde das Bauwerk messtechnisch überwacht und die Verformungen protokolliert. Die Messungen der TU München ergaben Hinweise auf eine Verformung in der Gründung. Was die Frage aufwarf: Worauf hatten die gotischen Baumeister gebaut?
Die Geologen fanden bei Ihren Untersuchungen im Untergrund der Stadtpfarrkirche sowohl tragfähigen Kalktuff, Kiesschichten und Fels aber auch mächtige Schichten aus setzungsempfindlichem Schluff, ja sogar eine große Torflinse. Die verschiedenen Schichten zeigten eine ausgeprägte Neigung nach Westen. Am Ende der geologischen Untersuchungen stand fest: die Stadtpfarrkirche war viel zu schwer für den weichen Untergrund. Die seit der Erbauung anhaltende Verformung war fast ausschließlich durch die sehr heterogene Setzung des Untergrundes verursacht.
Für die Rettung der Tölzer Pfarrkirche kam ein optimiertes Nachgründungverfahren zum Einsatz: Die Fundamente wurden durchbohrt und der weiche Baugrund mit Mörtelsäulen stabilisiert. Diese Mörtelsäulen reichen bis in die tragfähige Kiesschicht. Der Mörtel wurde in einem Mischer außerhalb der Kirche hergestellt und über Bohrgestänge mit einem Druck von ca. 10 bar in den Untergrund der Kirche gepresst. Im Bereich des Chors war die lastverteilende Kiesschicht zu dünn, hier reichten die Mörtelsäulen nicht mehr aus. Es wurden Suspensionssäulen bis auf den anstehenden Fels abgetäuft. Diese Säulen wurden mit einem Zement-Wasser-Gemisch erstellt. Der Einbau erfolgte mit einer ähnlichen Maschinerie, nur der Druck war viel größer: mit 100 bar wurde die Zementmischung in den Untergrund gepresst. Zur Stabilisierung der Säulen wurden zusätzliche Bewehrungseisen eingebaut.
Heute signalisieren die Messungen der TU München stabile Verhältnisse: Die Tölzer Stadtpfarrkirche steht auf 278 neuen Stützen und natürlich immer noch an der gleichen Stelle.
Die Raumschale
Die Neufassung der Raumschale
Finanzielle Gründe zerschlugen den Wunsch der Tölzer nach einer neuen, großen Kirche. So begannen ab 1895 umfangreiche Arbeiten an der noch vorhandenen, wegen Baufälligkeit aber bereits 1854 gesperrten Kirche. Diese war nach dem Brand von 1453 zwischen 1464 und 1490 neu errichtet worden. Die Neufassung erfolgte durch den Maler Schwarzmann. Hierbei wurden wohl die mittelalterlichen Rankenmalereien im Chorgewölbe „restauriert“ und in die Neufassung einbezogen. Die Baubehörde Tölz schreibt am 31.07.1860 an die Reg. v. Obb. K.d.I.: “ 3. die gemalten mittelalterlichen beym Abscharren der alten Weiße aufgefundenen Ornamente im Gewölbe des Presbyteriums wurden restauriert, das Übrige getüncht und sämmtliche Gerüste entfernt, endlich….“. 1904/07 wurde nach den Dekorationsplänen von Josef Elsner der Kirchenraum neu ausgemalt. 1958 erfolgte die Austünchung durch die einheimischen Malermeister Bruno Egger und Heinrich Dries. Die letzte Fassung wurde 1978 durch die Restaurierungswerkstätten Wiegerling ausgeführt.
2006 zeigten die Wände und die Gewölbe zahlreiche Risse und Deformationen. Gewölberippen hatten sich gelockert und drohten abzustürzen. Ein Schutzgerüst wurde nötig. Das Erzbischöfliche Ordinariat in München entschied sich für eine umfassende Sanierung der Stadtpfarrkirche.
Nachdem die statisch-konstruktive Sicherung des Bauwerks abgeschlossen war, wurde die bestehende Sichtfassung der Raumschale aus konservatorischer Sicht abgenommen. Bei der Abnahme der Sichtfassung blieben die darunter liegenden Fassungen bestehen. Alle angetroffenen Fassungsreste – unabhängig der Zeitstellung – wurden wo nötig gesichert und dokumentiert.
Bei der Abnahme der gesamten Sichtfassung wurden Befunderhebungen an der Raumschale durchgeführt, um Aussagen insbesondere zu den Fassungen nach 1860 zu erhalten. Die Möglichkeit der Wiederholung einer historischen Fassung aufgrund von Befunden, historischen Fotografien und Zeichnungen wurde untersucht. Wegen der reduzierten Befundlage war jedoch keine Leitredaktion möglich.
Der Entwurf zur Neufassung stellte hinsichtlich der Bedeutung der Pfarrkirche eine große Herausforderung dar. Zunächst wurden in Zusammenarbeiten mit dem Künstler Johann Brunner mehrere Varianten zur Neugestaltung der Raumschale anhand von Plänen, Fotos und Zeichnungen erarbeitet. Diese wurden im Kontext zu kleinen Musterflächen an der Wand sowie Musterscheiben zur Darstellung von farbigem Licht im Raum entwickelt. So entstanden in enger Zusammenarbeit mit dem Ordinariat und den Fachbehörden zahlreiche Entwürfe, zum Teil mit intensiven Überarbeitungen der Musterflächen und Grafiken, ergänzt mit zahlreichen Computersimulationen zur Gestaltung der Raumschale und Fenster.
Die hohen ästhetischen und ausführungsrelavanten Anforderungen an eine edle Oberflächengestaltung unter Einbeziehung natürlicher Pigmentierung (farbige Steinmehle, Holzkohle, Smalte) wurde in der zweiten Phase durch den Akad. Maler Christian Bauer anhand einer großen Musterachse vor Ort erprobt und verfeinert.
Die sparsame, jedoch in ihrer Ausführung anspruchsvolle Fassung stärkt die mittelalterliche Architektur und ist als eigenständige Fassung unserer Zeit erfahrbar.
Die durch alle am Projekt Beteiligten freigegebene Musterachse bildete die Grundlage für die Ausschreibung der Arbeiten zur Neufassung der Raumschale. Mit der Ausführung wurde die Restaurierungswerkstätte Neubauer beauftragt.
Ein moderner, heller Raum mit dezent farbiger Architekturgliederung unter Einbeziehung der bauzeitlich farbigen Konsolköpfe und Schlusssteine entsteht. Das Langhaus wird auch wegen der Pfeiler- und Gurtbogenverstärkungen von 1860 farbig zurückhaltender gegenüber dem Chor gefasst.
Es erfolgt eine farbige Steigerung hin zum mittelalterlichen Chor mit seinen feineren Gliederungen. Die Konsolbüsten und Schlusssteine werden entsprechend der mittelalterlichen Fassung dezent farbig einretuschiert. Die Apostelkreuze werden in Anlehnung an den Entwurf von 1860 neu gestaltet.
Die 25 mittelalterlichen Fensterscheiben (1490-1520 mit Ergänzungen / Überarbeitungen von 1908) werden nach der Restaurierung wieder eingestellt und gemäß der Farbigkeit der Raumschale mit zurückhaltend gestalteten Scheiben ergänzt. Die rundverbleiten Kirchenfenster von 1958 bleiben bestehen.
Die Neufassung der Raumschale ermöglicht die Integration der historischen Ausstattung und lässt Raum für die liturgische Neugestaltung.
Die Ausstattung
Seit 2009 wurden durch Restaurierungswerkstätten Befunduntersuchungen an der wertvollen Ausstattung durchgeführt. Neben der Konservierung war die Rücknahme qualitativ unzulänglicher und ästhetisch unbefriedigender Arbeitsschritte Ziel der Maßnahmen. Die Fertigstellung der Restaurierung erfolgte bis Mitte Mai 2011.
Die historische Ausstattung
Durch die Restaurierungswerkstatt Landskron wurden seit 2009 Befunduntersuchungen an der in Neumarkt St. Veit ausgelagerten Ausstattung (Seitenaltäre, Kanzel, Figuren, etc.) sowie an der vor Ort verbliebenen Ausstattung (Hochaltar, Orgel) durchgeführt. Alle ausgeführten Fassungen (1861-66, 1906 und 1958) sind nachweisbar.
Ziel der Maßnahme war, neben der Konservierung, der Umgang mit dem zuletzt 1958 hergestellten Zustand der neugotischen Ausstattung unter Rücknahme qualitativ unzulänglicher und ästhetisch unbefriedigender Arbeitsschritte. Teilbereiche wurden freigelegt bzw. farbig überarbeitet. Das heißt für die Altararchitektur: gründliche Schmutzabnahme und Dünnung der dunklen Patinierung (1958) von den ockerfarbenen Flächen, die Patinierungen der Vergoldungen wurden abgenommen, die bestehenden Fassungen restauriert. Nischen, Rücklagen und Untersichten an Altären und Kanzel wurden überfasst. Die Nischengestaltungen von 1866 bzw. 1906 wurden wieder aufgenommen, jedoch in zurückhaltender Farbigkeit.
Auch an den Skulpturen wurden die dunklen Lasuren von 1958 abgenommen. Neben den allgemeinen Restaurierungsarbeiten wurden die stark glanzenden Überzuge auf den Inkarnaten abgenommen, die beriebenen Versilberungen und Lüsterlasuren ergänzt.
Eine Ausnahme bildet die Bearbeitung des südlichen Seitenaltares. Neben den allgemeinen Konservierungsarbeiten erfolgte eine Neufassung der Altararchitektur und der Skulpturen gemäß dem nördlichen Seitenaltar.
Die Musterachse am Hochaltar wurde durch die Restaurierungswerkstatt Landskron erarbeitet. Die hier ausgeführten Arbeiten dienten als Grundlage fur die Ausschreibung.
Restaurierung und Integration der neugotischen Ausstattung in den neu gefassten Raum erfolgten durch die Restaurierungswerkstatt Neubauer.
Weitere wertvolle Ausstattungsgegenstände wurden durch verschiedene Restauratoren überarbeitet.
Die liturgische Neugestaltung
Auf der Grundlage von räumlichen und liturgischen Überlegungen der Arbeitsgruppe Raum, Kunst und Liturgie in Zusammenarbeit mit der Pfarrei und dem Planungsbüro wurde ein Künstlerwettbewerb zur liturgischen Neuordnung ausgelobt.
In Anbetracht der Bedeutung der Kirche gelten hohe Anforderungen an künstlerische Invention, räumliches Einfühlungsvermögen und zeitgemäße Formensprache.
Die Künstler Lutzenberger + Lutzenberger aus Bad Wörishofen wurden mit der Gestaltung der neuen liturgischen Mitte beauftragt und gestalteten sowohl die neue liturgische Ausstattung des Altarraums, als auch die der Marien- und Sebastianskapelle.
Auf einer „Insel“ im Altarraum, einem Intarsienmosaikboden stehen Volksaltar und Ambo aus dunklem Sandstein. Die Sitze für Priester und Betende sind aus Holz gefertigt.
Die Sebastianskapelle wurde mit dem wiederaufgehängten Sebastiansbild von Loth zum Ort persönlicher Fürbitten und Kleinliturgien. Im vorderen Arkadenbogen wurde die Chororgel aufgestellt.
Die Marienkapelle dient nun wieder der Marienandacht und Sakramentsverehrung. Die schwenkbare vergoldete Platte aus geräucherter Eiche gibt entweder die Sicht auf ein historisches Mariahilfbild oder eine Pietá frei. Der Wechsel erfolgt im Rahmen des liturgischen Zyklus.
Die Fertigstellung erfolgte bis Mitte Mai 2011. Die Einweihung des Kircheninnenraums fand am 29.05.2011 statt.